Rondo

aus: André Gide, Les Nourritures terrestres, 1897

dt.: ‚Uns nährt die Erde' in der Übersetzung von Hans Prinzhorn, DVA 1930


Manche Bücher liest man auf kleinen Brettchen,
An einem Schulpult sitzend.

Manche Bücher liest man auf dem Marsche
(Auch wohl wegen ihres Formates).
Einige sind für den Wald, einige für andere Landschaften.
Et nobiscum rusticantur, sagt Cicero.
Manche las ich in Postkutschen,
Andere tief in Heuschober gekauert.
Manche sollen glauben machen, man habe eine Seele,
Andere sollen sie zur Verzweiflung bringen.
In manchen beweist man das Dasein Gottes,
In anderen bringt man das nicht zustande.

Manche kann man nirgends zulassen
Als in Privatbibliotheken,
Manche haben Lob und Annerkennung erhalten
Von vielen kritischen Autoritäten.

In manchen ist nur von Bienenzucht die Rede,
Was einige gar zu spezialistisch finden.
In anderen ist von der Natur dermaßen die Rede,
Daß es nachher nicht mehr lohnt, spazieren zu gehen.

Manche werden von gescheiten Leuten verachtet,
Aber regen die kleinen Kinder auf.

Manche nennt man Anthologien,
Darein druckt man alles Beste, was je über irgend etwas
gesagt worden ist.
Manche wollen euch das Leben lieben lehren,
Nach anderen beging der Autor Selbstmord.
Manche säen Haß
Und andere ernten, was sie säten.
Manche leuchten, wenn man sie liest ,
So erfüllt sind sie von Ekstase oder süßer Demut.
Manche liebt man wie reinere Brüder,
Die besser gelebt haben als man selbst.
Manche sind in seltsamer Schrift geschrieben,
Und man versteht nicht, auch wenn man sie eifrig studiert hat.
...

Manche sind keine drei Groschen wert,
Andere haben recht beträchtliche Preise.

Manche sprechen von Königen und Königinnen,
Andere von ärmsten Leuten.

Manche finden Worte, die sind süßer
Als das Rauschen der Blätter am Mittag.
Und Johannes auf Patmos hat gar ein Buch verschlungen
Wie eine Ratte; ich aber mag Himbeeren lieber.
Mit Bitternis belud sich daran sein Eingeweide,
Und danach hatte er viel Visionen.